Do 3. Apr 2008, 20:29
Quelle:
http://www.derwesten.de/nachrichten/waz/rhein-ruhr/2008/4/3/news-35160905/detail.html
Ungeklärte Tiermorde
Eine grausige Serie
Rhein-Ruhr, 03.04.2008, Hubert Wolf und Jürgen Augstein, 2 Kommentare
Witten. Wieder wurden in Witten zwei Tiere in der Nacht brutal geköpft. Diesmal ein Hahn und eine Henne. Das Sekten-Info denkt an Satanismus, eine Psychologin warnt: Gewalt könnte sich bald gegen Menschen richten.
Sie hießen Marianne und Fussel und wurden drei Jahre alt, bis man ihnen die Köpfe abschnitt kurz nach Weihnachten 2007. Eva Chmielorz, der die Kaninchen gehörten, hat sich bis heute keine mehr angeschafft: Weil der Täter nicht geschnappt wurde und ich Angst habe, dass es nochmal passiert. Oh, es passiert, das kann sie alle paar Wochen in der Zeitung lesen. Die Tötung ihrer Tiere war erst Fall fünf.
Die ersten Fälle wurden von der Polizei noch belächelt
Seit gestern zählt die Polizei Fall 13. Keine Kaninchen diesmal, wie stets zuvor: Ein Huhn und ein Hahn wurden geköpft. Anfangs, im Juni 2007, wurden die Kaninchenmorde selbst bei der Polizei belächelt, doch das ist her; und das Lächeln entfällt, sobald man sich genau vorstellt, was da passiert: Da steigt jemand in der Dunkelheit in Ihren Garten ein, hat ein scharfes Messer dabei, bricht den Stall auf; dort köpft er vorzugsweise zwei Kaninchen, fängt das Blut auf und nimmt es mit, ebenso wie die abgeschnittenen Köpfe, zu welchem Zweck auch immer.
Bernhard Steidel kümmert sich bei Familie Paschen um die Tiere. Auch er ist schockiert von den Tiermorden. Foto: WAZ, Werner Liesenhoff 13 Fälle in neun Monaten, 21 getötete Kaninchen in Witten, Dortmund und Herdecke, jetzt der Hahn und das Huhn und im November war in Dortmund sogar ein Rind geköpft worden und der Kopf verschwunden. Man soll nie sagen, das gab es noch nie, aber zumindest erinnert sich in der gesamten deutschen Kaninchen-Szene niemand an eine solche Serie. Ach Du Schande, sowas habe ich noch nie gehört, sagt Peter Mickmann (61), der Präsident des Zentralverbandes Deutscher Rassekaninchenzüchter.
Es begann im Juni 2007, wiederholte sich immer schneller, aber seit dem Jahreswechsel ist kein Rhythmus mehr erkennbar. Es begann in Witten-Annen, schien auf Dortmund zuzulaufen, aber auch ein geographisches Muster ist nicht mehr zu sehen. Die betroffenen Tierfreunde haben keine Berührungspunkte. Und niemand weiß, ob da ein Täter unterwegs ist oder eine Gruppe oder schon die Nachahmer von Trittbrettfahrern.
Das Okkultismus-Klischee der Stadt Witten wird gepflegt
Eine so genannte Zeitung hat die Tatorte durch ein Pentagramm zu verbinden versucht: einen fünfzackigen Stern, der sowohl im Christentum als auch im Okkultismus als Symbol genutzt wird. Die Botschaft war also wirr, doch unterstellt werden sollte, es seien Satanisten am Werk; da hatte sich offenbar jemand erinnert an das düstere Ehepaar R. aus Witten, das 2001 einen Bekannten ermordete auf Satans Befehl, wie es aussagte. Der einschlägige Ruf der Stadt wird seitdem durch Bücher lebendig gehalten wie Der Satan von Witten oder Der Satansmord von Witten Was wirklich geschah.
Kein Raubtier
Zwei Hühner tot, drei verschwunden:
ein Raubtier, dachte Cornelia Paschen erst. Doch die Untersuchung ergab: Auch in diesem Fall wurde eine Klinge benutzt, wie bei den Kaninchen. Ich kann nur hoffen, dass die Polizei diesen Irren fängt, sagt die 44-Jährige.
Aber jedenfalls waren die fehlenden Köpfe und das gestohlene Blut Anlass genug für die Polizei, bei Sabine Riede nachzufragen, der Geschäftsführerin des Sekten-Info NRW in Essen; und sie sagt: Man kann einen jugendsatanistischen Hintergrund tatsächlich in Erwägung ziehen.
Dort gehöre es durchaus zum Gedankengut, Blut zu einer Schwarzen Messe mitzubringen, sagt Riede: Es ist eine Mutprobe und zeigt, ich bin in der Lage zu töten. Sie betreut öfter junge Aussteiger, die mir solche Sachen schildern. Erwachsene, in Logen organisierte Satanisten hingegen scheuten das Risiko, erwischt zu werden, was, Teufel auch, eine erheiternde Vorstellung ist. Sie würden sich ein Tier kaufen und es zuhause töten, sagt Riede. Nach Kaninchen und Huhn fehlt halt noch eine Katze. Die drei werden am häufigsten geopfert.
Indes: Bei ihren verstärkten nächtlichen Streifen entdeckt die Polizei keine Spur satanistischer Aktivität in Witten. Keine Schwarze Messe, keinen Grabstein und keine Kirchentür, worauf die 666 in Blut geschrieben stünde: des Teufels Zahl. Ein satanistischer Hintergrund sei bei so vielen Fällen ungewöhnlich, aber wir wollen es nicht ausschließen, sagt Volker Schütte, der Sprecher der Bochumer Polizei.
Psychologin: Tierquälereien könnten in Gewalt gegen Menschen münden
Es gibt noch einen Erklärungsversuch, der ist eher schlimmer, der stammt aus der Gerichtsmedizin und besagt in letzter Konsequenz: Da kommt eventuell ein Gewaltverbrecher auf Menschen zu. Was da geschieht, ist sehr bedenklich, sagt die Diplom-Psychologin Andrea Beetz aus der Forschungsgruppe Mensch und Tier der Uni Erlangen/Nürnberg. Die Forschung wisse inzwischen, dass Tierquälerei eine Vorstufe sein könne zur Gewalt gegenüber Menschen oder sogar parallel auftrete: Nicht jeder Tierquäler wird ein Gewaltverbrecher, aber wir haben darunter viele, so Beetz. In der Supervision hat ihr eine Kollegin erst kürzlich erzählt von einem Mörder in Bayern. Vorher hatte er in Serie Tiere getötet.