Sachensumpf Opfer packt aus *Trigger*




Sachensumpf Opfer packt aus *Trigger*

Beitragvon Bibbies » Do 2. Mai 2013, 20:33

Artikel vom Spiegel

Ehemalige Zwangsprostituierte: Wie die Justiz Mandy Kopp stigmatisierte

Sie wurde als Minderjährige zur Prostitution gezwungen, eingesperrt und misshandelt. Zwanzig Jahre später geht Mandy Kopp mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit. Unterlagen zeigen, dass Teile der Justiz ihr keine Hilfe waren - im Gegenteil: Sie wurde als Prostituierte stigmatisiert.



Wenn Mandy Kopp aus ihrem Buch vorliest, ringt sie um Fassung. Sie ist stark geworden, doch noch immer erschüttern sie die Erinnerungen, zu viel hat sie ertragen müssen. "Die Zeit des Schweigens ist vorbei" heißt ihr Buch, eine Art Kampfansage.

Mandy Kopp schweigt nicht mehr darüber, wie sie Anfang der neunziger Jahre ins Leipziger Bordell "Jasmin" geraten war, wie sie und andere Mädchen und junge Frauen vergewaltigt wurden, misshandelt, wie sie voller Angst lebten.

Heute ist Kopp 36 Jahre alt, ihr Martyrium liegt zwei Jahrzehnte zurück. Dass es sie bis heute verfolgt, dass sie auch heute noch kämpfen muss, liegt auch am Verhalten der ermittelnden Behörden: Immer wieder hat Kopp Stigmatisierungen durch die Justiz angeprangert. SPIEGEL ONLINE liegen nun Protokolle und E-Mails vor, die belegen, wie sie und andere ehemalige Zwangsprostituierte mit Vorbehalten konfrontiert wurden.

Kopp war vor 20 Jahren mit anderen Minderjährigen in die Gewalt eines Zuhälters geraten. Der Mann zwang sie, für ihn anzuschaffen und vergewaltigte die Mädchen mehrfach. Das Bordell wurde 1993 gestürmt, der Zuhälter später wegen Menschenhandel in Tateinheit mit Zuhälterei, Förderung der Prostitution und sexuellem Missbrauch von Kindern zu vier Jahren und zwei Monaten verurteilt.

"Sachsensumpf" bringt Spur zum Bordell

Die juristische Aufarbeitung des Falles war damit längst nicht abgeschlossen: Der Verurteilte behauptete im Jahr 2000, es habe einen Deal zwischen seiner Anwältin und Richter N. gegeben; wenn er nicht zu den Freiern aussage, bekomme er eine mildere Strafe. Später widerrief er die Aussage. Ein Ermittlungsverfahren gegen Richter N. wegen Strafvereitelung wurde eingestellt.

Doch wenige Jahre später tauchten die Namen des Bordells und des Richters erneut auf: Im Zuge von Ermittlungen zum "Sachsensumpf", zu einem mutmaßlichen Geflecht aus Korruption, Immobilienspekulation, Misshandlung Minderjähriger und Waffengewalt, das bis heute nicht vollends aufgeklärt ist. Zwei Frauen, Mandy Kopp und Beatrice E., wurden befragt, und sie meinten, in Richter N. und einem Staatsanwalt ehemalige Besucher des "Jasmin" wiedererkannt zu haben. Das Verfahren gegen die Männer wurde später ebenfalls eingestellt.

Weil im Fall des "Sachsensumpfs" die Justiz gegen eigene Beamte ermitteln musste, setzte der damalige Justizminister Geert Mackenroth (CDU) Mitte 2007 den aus Baden-Württemberg stammenden Richter Wolfgang Eißer ein. Eißer sollte ein "neutrales Auge" auf das Vorgehen der Justiz haben, er sei "fachlich wie menschlich über jeden Zweifel erhaben", so Mackenroth damals.

Bereits nach der ersten Vernehmung der ehemaligen "Jasmin"-Mädchen im Januar 2008 schrieb Eißer eine Mail an Mackenroth, die SPIEGEL ONLINE vorliegt: "Mein Misstrauen gegen die neuen Angaben wurde durch diese Gespräche bestätigt. Man muss sogar befürchten, dass die neuen Aussagen nicht nur manipuliert, sondern 'bestellt' worden sind."

Anklage wegen Verleumdung

Mit seinen Aussagen von damals konfrontiert, antwortet Eißer: Die Situation im Januar 2008 wäre so gewesen, dass die meiste Ermittlungsarbeit bereits geleistet war und vieles, aber noch nicht in allen Details, klar war. Zu dem Verdacht, Justizbeamte könnten in den "Sachsensumpf" verwickelt gewesen sein und womöglich zu den Besuchern des "Jasmin" gezählt haben, stellt Eißer fest: "Viele Vorwürfe konnten nicht nur als nicht beweisbar, sondern als eindeutig widerlegt angesehen werden."

Das sehen nicht alle so: Es sei eben nicht nachgewiesen, dass es kein sogenanntes "Sachsensumpf"-Netzwerk gegeben habe, sagte ein Jahr später der Obmann der Grünen im "Sachsensumpf"-Untersuchungsausschuss im Dresdner Landtag, Johannes Lichdi.

In seiner E-Mail vom Januar 2008 bezeichnete Eißer die "Jasmin"-Opfer als "Prostituierte". Auf Anfrage rechtfertigt Eißer jetzt die Verwendung des Begriffs. "Von außen ist es oft nicht möglich, zu erkennen, ob eine Frau gezwungenermaßen dort arbeitet oder nicht", schreibt er. Und weiter: "In meinem Sprachgebrauch verwende ich den Begriff 'Zwangsprostituierte' nicht, weil er eine meistens nicht mögliche abschließende Bewertung, warum eine Frau als Prostituierte tätig ist, beinhaltet."

Die Bezeichnung "Prostituierte" zieht sich wie ein roter Faden durch die Ermittlungsakten. In einer Notiz des Sächsischen Justizministeriums vom 28. März 2008 zum Prüfvorgang "Korruption Sachsen" etwa steht: "Bei den beiden Damen handelt es sich um die ehemaligen Prostituierten im ehemaligen Bordell 'Jasmin'(...)."

Das Wort "Damen" wurde nachträglich durchgestrichen und durch "Beschuldigte" ersetzt. Denn: Nachdem Kopp und Beatrice E. den Richter und den Staatsanwalt identifiziert hatten, wurden sie wegen Verleumdung angeklagt. Selbst in der offiziellen Presseerklärung der Dresdner Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung vom November 2008 ist von "zwei ehemaligen Prostituierten" die Rede.

Kopp reagiert noch heute mit Unverständnis auf die Diffamierung, "wir sind Opfer", sagt sie.

Auch die Zeugenvernehmungen scheinen offenbar nicht immer frei von Vorbehalten geführt worden zu sein. In einem Brief vom 10. April 2008 beschwerte sich der Rechtsanwalt von Kopp bei der Staatsanwaltschaft: "Nach Angaben meiner Mandantin wurde sie während der Vernehmung mit Äußerungen konfrontiert, die sie als herabsetzend empfunden und so verstanden hat, dass Einfluss auf ihr Aussageverhalten genommen wird", schreibt er. Unter anderem sei sie während der Vernehmung sinngemäß mit "Wem wird man mehr Glauben schenken - zwei ehrenvollen Polizeibeamten oder einer Ex-Prostituierten?" konfrontiert worden.

"Vordemokratischer Umgang mit Zeugen"

Ähnlich klingt ein Beschwerdebrief des Anwalts von Beatrix an die Staatsanwaltschaft im Februar 2008. Seiner Mandantin sei so viel Aggressivität und Feindseligkeit entgegengeschlagen, dass sie zitterte, einen Weinkrampf und Nasenbluten bekam. Daraufhin habe man die Vernehmung abbrechen müssen.

Der Sprecher der vernehmenden Beamten weist die Vorwürfe nun zurück. Bei der Befragung sei ein Rechtsbeistand der Zeugen anwesend gewesen. "Es wurde während der Vernehmung keine Kritik seitens des Zeugenbeistandes erhoben." Und: "Die Zeugin wurde in den Vernehmungen nicht mit herabsetzenden Äußerungen konfrontiert". Auf das Aussageverhalten sei kein Einfluss genommen worden.

Dass es sich bei den Frauen nicht um ehemalige Prostituierte handelt, sondern um Vergewaltigungsopfer, geht nach Ansicht des Obmanns Lichdi bereits aus den Vernehmungsprotokollen aus dem Jahr 1993 hervor. Damals hatte die Polizei die aus dem Bordell befreiten Mädchen befragt. "Es ist nachweisbar, von Anfang an, dass es sich nicht um Prostituierte handelte", so Lichdi. "Die durchgängige Diskriminierung der Frauen als Prostituierte durch die Staatsanwaltschaft Dresden sollte die Aussagen der Frauen als unglaubwürdig abstempeln."

Für SPD-Obmann Karl Nolle ist der eigentliche Sumpf der Umgang mit den Zeugen. "Der 'Sachsensumpf' ist in der Tat inzwischen der rechtsstaatsferne vordemokratische Umgang mit der Sache, mit Zeugen, mit Journalisten, Abgeordneten und Mitarbeitern des Landesamtes für Verfassungsschutz durch Teile der Justiz und Staatsregierung, die das Thema auf Teufel komm raus plattzumachen hatten und haben", sagt er. Das sei alles aktueller denn je.

Die Ausschussmitglieder wollen noch bis zum Frühjahr 2014 Zeugen vernehmen und bis Juni kommenden Jahres einen Abschlussbericht vorlegen. Spannend dürfte es noch einmal im Spätherbst dieses Jahres werden. Nolle kündigt an, dass der Ausschuss dann die im "Sachsensumpf" ermittelnden Staatsanwälte anhören möchte.
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Re: Sachensumpf Opfer packt aus *Trigger*

Beitragvon Anuk » Do 30. Jan 2014, 15:38

Martyrium der Zwangsprostituierten Mandy Kopp
Quelle: Die Welt
09.03.13"Sachsensumpf"
Martyrium der Zwangsprostituierten Mandy Kopp
Mit 16 wurde Mandy Kopp zur Prostitution gezwungen. Später sagte sie im angeblichen Skandal um den "Sachsensumpf" aus und landete vor Gericht. In einem Buch verarbeitet die 36-Jährige ihr Lebensdrama. Von Heike Vowinkel
"Wer hätte mir geglaubt?": Einst wurde sie bedroht, bis heute fühlt sich Mandy nicht sicher.
Wer war schuld? Die Frage hat sie lange gequält, und manchmal tut sie das noch immer.

Der frühe Tod des Vaters? Sie war erst zwölf, als er starb. Der Vater war ihr sehr nah, sehr ähnlich auch, die Tante erzählt das noch heute, sagt sie. Er brachte sie zum Lachen, wenn sie traurig war, er spürte, wie es ihr ging. Oder die Mutter, die so hart zu sich und anderen war? Die den Halt im Leben verloren hatte, zu viel Alkohol trank und der pubertierenden Tochter mit so viel Strenge begegnete?

Und sie selbst? Warum nur ist sie damals mitgegangen, als der Mann mit der Lederjacke anbot, sie und ihre Freundin könnten in seiner Mädchen-WG übernachten, wo jeder eine Chance bekomme, wo man sie ernst nehme. Warum hatte sie sich nicht heftiger gewehrt, nicht noch öfter versucht zu fliehen?

Keine Mädchen-WG, sondern ein Minderjährigenbordell

Sie war gerade 16 geworden, im November 1992, und hatte versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Ihre erste große Liebe hatte sie mit einem anderen Mädchen betrogen. Ihre Mutter reagierte mit Vorwürfen statt mit Verständnis. Sie wollte weg und lief mit Lea davon, die war erst 13. Hätte sie nicht wissen müssen, dass niemand zwei Ausreißerinnen einfach so in einer Mädchen-WG unterbringt? Die Erwachsene von heute hat das das Mädchen von damals oft gefragt. Obwohl sie glaubt, dass es die falsche Frage ist: die nach ihrer Schuld.

Die Wohnung lag in einem grauen Altbau in Leipzig, auf den ersten Blick nett eingerichtet mit Ledergarnitur, Glasvitrine voller Nippes und Glasperlenvorhängen. Drei Mädchen lebten dort, Ines*, Jasmin* und Trixi*. Nur war es keine Mädchen-WG. Es war ein Minderjährigenbordell: das "Jasmin". Sie schreibt:

Während der ersten Zeit im ",Jasmin" zwang er mich immer wieder zu sexuellen Handlungen, er vergewaltigte mich, demütigte und schlug mich, wann immer er es für "angebracht" hielt. Wie ein störrisches Stück Vieh, bei dem kein gutes Zureden mehr half, sondern nur noch Gewalt. Irgendwann hörte ich auf, die Schläge zu zählen. Sie verschwanden hinter einem Schleier aus Taubheit und innerer Leere... Kugler* sagte hinterher: "Mädchen, die nicht funktionieren, kosten nur Geld und werden beseitigt."

Sie schreckt auf, wenn Kinder weinen

Mandy Kopp ist heute 36. Sie hat ihre Erlebnisse in einem Buch aufgeschrieben. Es ist die Geschichte einer Generation, deren Eltern in den Wendejahren die Orientierung verloren, wo sollten die Kinder da Halt finden? Doch vor allem ist es die Geschichte einer Frau, die mit ihrer Vergangenheit ringt. Fast 20 Jahre hat sie das im Privaten getan, jetzt kämpft sie öffentlich.

"Uh, der Stamm ist so kalt."

Sie lacht, als der Fotograf sie bittet, einen Baum zu umarmen. Mandy Kopp ist eine hübsche Frau, schlank und zierlich, die blauen Augen hinter einer weiß gerahmten Brille, das hellblonde Haar offen auf den Schultern. Lebendig, schlagfertig. Das ist der erste Eindruck.

Sie mag nicht, dass man sie dort trifft, wo sie wohnt. Sie zieht gerade um, auch weil sie sich bis heute nicht sicher fühlt. Sie ist nach Berlin gekommen. Im Nebenraum sitzen ihr Lebensgefährte und ihr sechsjähriger Sohn. "Mein Beistand", sagt sie und lächelt. Sie schreckt auf beim Geschrei von Kindern, das vom nahen Spielplatz herüberschallt, ist angespannt. Das ist der zweite Eindruck.

Bordellbetreiber beim Prozess im Saal

Das Buch, ihre Geschichte, ist schwer zu ertragen. Lange hat sie gebraucht, das alles aufzuschreiben. Angefangen hat sie schon, kurz nachdem sie und die anderen Mädchen im Januar 1993 aus dem "Jasmin" befreit worden waren. Sie wurden damals bedroht, auf sie und Lea soll sogar jemand geschossen haben, daher beschlossen Mandy Kopps Eltern mit dem Jugendamt und der Polizei, dass sie in Süddeutschland in einem Internat und einer Pflegefamilie untertauchen sollte. Reden über sich selbst und das, was sie erlebt hatte, durfte sie aus Sicherheitsgründen mit niemandem. So begann sie zu schreiben. Über ihre Kindheit, ihre Familie, wie sie der Mensch wurde, der sie war. Nur über die Zeit im "Jasmin" bekam sie keine Zeile aufs Papier.

1994 sagte sie im Prozess gegen Kugler aus, den Betreiber des "Jasmin", ihren Zuhälter. Obwohl man ihr zuvor versprochen hatte, er werde bei der Aussage nicht im Gerichtssaal sein, war er es dann doch. Und in dem Richter meinte sie schon damals, einen ihrer früheren Freier wiederzuerkennen.

Warum haben Sie das damals nicht gleich gesagt?

"Ich war so geschockt, dass ich fast ohnmächtig geworden wäre. Und wer hätte mir geglaubt? Kugler hatte ja immer gesagt, dass er beste Beziehungen zu Justiz und Polizei habe."

Kugler wurde zu vier Jahren und zwei Monaten Haft wegen Menschenhandels in Tateinheit mit Zuhälterei und Förderung der Prostitution sowie sexueller Handlungen Minderjähriger verurteilt. Für das, was er ihr und den anderen angetan hatte, die Schläge, die Tritte, die vielen Vergewaltigungen, wurde er nicht verurteilt. Er war dafür nicht einmal angeklagt.

Wie war das möglich?

"Das frage ich mich heute auch. Einige der anderen Mädchen und ich hatten ihn nach der Befreiung wegen Vergewaltigung und Körperverletzung angezeigt. Aber das wurde nicht weiter verfolgt. Unsere Eltern wurden ja nicht einmal informiert, dass sie das Recht hatten, als Nebenkläger aufzutreten und Einsicht in die Akten zu bekommen."

Mandy Kopps Stimme ist jetzt laut. Sie redet schnell, knetet ihre schmalen Finger. Sie weiß, dass das alles unfassbar klingt. Viel zu lange habe sie keine Fragen gestellt und wenn, dann die falschen, sagt sie.

Damals nach dem Auftritt vor Gericht wollte sie nur noch nach vorne schauen, Leipzig, das "Jasmin", ihr altes Leben vergessen. Sie kehrte zurück in ihre neue Welt in Süddeutschland. Kurz zuvor hatte sie sich verliebt in einen 20 Jahre älteren Mann, einen Handwerker. Die beiden heirateten, machten einen Betrieb auf, bekamen einen Sohn. Nach außen führten sie das Leben einer glücklichen Familie.

Einfach alles vergessen. Mit den Jahren bekam ich richtig Übung darin, Wolfgang vorzuspielen, dass ich tatsächlich alles vergessen hatte. Nur selten, wenn ich nachts im Schlaf schrie und schweißgebadet aufsprang, bekam er mit, dass das nicht so klappte. Aber auch da hatte ich Ausreden.

Essstörungen und Unterleibskrebs

Etliche Jahre ging das so. Im Jahr 2000 wurde sie von zwei Zivilbeamten erneut befragt. Man sagte ihr, bei den Ermittlungen zu einem Anschlag auf den Chefjuristen der Leipziger Wohnungsbaugesellschaft habe sich eine Spur zum "Jasmin" ergeben. Außerdem habe sich Kugler an die Polizei gewandt, da er um sein Leben fürchte. Bei der Befragung wurden ihr Fotomappen vorgelegt. Sie erkannte mehrere Männer als Kunden des "Jasmin". Danach hörte sie lange Zeit nichts mehr von der Polizei. Erst viel später erfuhr sie, was Kugler aussagte. Dass es vor Gericht einen Deal gegeben habe, dem zufolge er mit zehn Jahren Haft oder mehr hätte rechnen müssen, wenn er verrate, wer die Kunden der Mädchen im "Jasmin" waren.

Sie litt an Panikattacken und Depressionen und begann eine Therapie. Ihre Essstörungen wurden so schlimm, dass sie ins Krankenhaus musste. Sie wurde wieder schwanger und verlor das Kind. Sie wurde erneut schwanger, diesmal bekam sie das Kind. Kurz darauf erkrankte sie an Unterleibskrebs – und überstand auch das. Es war die Zeit, in der sie anfing, an ihrer Geschichte weiterzuschreiben. Für ihre Kinder, die wissen sollten, warum sie so oft traurig war.

Was ist dran am "Sachsensumpf"?

Es war auch die Zeit, in der das Wort vom "Sachsensumpf" durch die Medien ging. Dokumente des sächsischen Verfassungsschutzes zu den Ermittlungen der Polizei im Jahr 2000 waren an die Öffentlichkeit gelangt. Es ging um Korruption, um dubiose Immobiliengeschäfte, um organisierte Kriminalität und angebliche Besuche von Staatsbeamten im "Jasmin". Das Land spekulierte über einen ungeheuerlichen Skandal, in den Justizbeamte, Manager und Polizisten verwickelt sein sollten. Innenminister Albrecht Buttolo hielt eine aufsehenerregende "Mafia"-Rede im Landtag. Doch kurz darauf war nur noch von "heißer Luft" die Rede. Bis heute ist nicht geklärt, was dran war am "Sachsensumpf", und manche – allen voran die Justiz – behaupten, es habe ihn nie gegeben.

Mandy Kopp wurde erneut befragt. Die Staatsanwaltschaft Dresden bestellte sie im Januar 2008 dafür ein. Sie sagte aus, woran sie sich erinnern konnte. Als ihr Fotos gezeigt wurden, identifizierte sie zwei hochrangige Leipziger Juristen als ehemalige Kunden des "Jasmin" – dieselben, die sie schon damals bei der Befragung durch die Zivilbeamten erkannt hatte. Mehr ein Verhör als eine Befragung sei das gewesen, sagt sie, und irgendwann sei der Satz gefallen:

"Frau Kopp, was Sie getan haben, ist nichts Schlimmes. Prostitution ist nicht strafbar, Sie haben nichts Schlimmes getan."

Was ist hier los, fragte sie sich, bin ich Zeugin oder Angeklagte? Es ist dieser Satz, dieses Wort, das sie seitdem nicht mehr loslässt. "Ex-Prostituierte" stand schon im Urteil gegen Kugler, wie sie inzwischen erfuhr.

Vergangenheit als Teil des Lebens

2009 sollte sie auch vor dem sächsischen Untersuchungsausschuss aussagen, doch kurz bevor sie dort unter Polizeischutz erschien, wurde ihr die Anzeige der Staatsanwaltschaft zugestellt – Verleumdung lautete der Vorwurf, weil sie im Verhör die beiden Leipziger Juristen als Kunden des Bordells benannt hatte. Mundtot habe man sie damit machen wollen, sagt sie, damit sie vor dem Untersuchungsausschuss die Aussage gegen die beiden Juristen nicht wiederholen konnte, ohne sich erneut strafbar zu machen.

Die Vergangenheit war jetzt wieder Teil ihres Lebens. Ihr Mann wusste nicht, wie er damit umgehen sollte, die Ehe scheiterte. Bilder kamen hoch, sie wurde sie nicht mehr los. Sie sah den Fleck wieder an der Wand neben dem Bett im "Jasmin", der einem Schaf ähnelte, den Fleck, den sie anstarrte, während Männer auf ihr lagen, und sie zählte, eins, zwei, drei, vier... und immer wieder von vorne, eins, zwei, drei, vier... bis es vorbei war.

Sie dachte wieder an ihre erste Flucht, damals, als sie nach Hause gegangen war und ihre Mutter nicht einmal wissen wollte, wo sie gewesen war. Sie schimpfte über ihr Aussehen: wie eine Prostituierte. Und Mandy? Sie sagte nichts von dem, was sie erlebt hatte. Kein Wort. Stattdessen kehrte sie zurück ins "Jasmin".

Warum nur?

"Wenn ich das wüsste. Es war wie ein Tunnelblick. Für mich zählte nur noch, dass ich mit meiner Flucht die anderen Mädchen in Gefahr gebracht hatte, dass sie dafür bestraft werden würden."

Sie nimmt jetzt die blaue Kaffeekanne vom Tisch, gießt die Tasse voll, trinkt. Den Keksteller vor sich schaut sie nicht an. Sie hat noch kaum etwas gegessen heute. Es gibt noch immer Tage, an denen sie keinen Bissen hinunterbekommt. Aber es sei besser geworden, sagt sie. Dass sie erstmals im vergangenen Jahr auf fast 59 Kilo Gewicht kam, verdanke sie ihrem Lebensgefährten.

Es gelang ihr ein zweites Mal, mit zwei anderen Mädchen zu fliehen. Doch auch diesmal gingen sie nicht zur Polizei oder den Eltern. Sie ließen sich treiben, gingen tanzen, versuchten, bei Exfreunden unterzukommen. Einer verriet sie schließlich an Kugler. Zur Strafe habe er Mandy Kopp ausgepeitscht, bis sie das Bewusstsein verlor.

Ich reagierte mit der Zeit wie ein Junkie. Nach innen zog ich mich immer weiter zurück, da war nur noch Leere. Die Schläge nahm ich wie einen Schuss Heroin, ich brauchte sie, um mich aus der Situation zu katapultieren, anders konnte ich es nicht ertragen. Hau drauf, schlag mich zu Brei, dann spür ich wenigstens irgendwas.

"Kein Wort zu den Bullen"

Und auch jene Bilder kehrten zurück, die sie all die Jahre versucht hatte, so tief wie möglich in sich zu vergraben. Im Buch heißt das Kapitel "Russisch Roulette". Sie beschreibt darin, wie sie einem gewalttätigen Kunden im Beisein ihres Zuhälters droht, alle zu verraten, wenn sie es noch einmal schaffen sollte, aus dem "Jasmin" zu fliehen. Kurz darauf wird sie in eine andere Wohnung gebracht. Nackt, mit verbundenen Augen und gefesselt, wird sie von mehreren Männern stundenlang geschlagen und vergewaltigt, am Ende machen sie sich einen Spaß daraus, ihr einen Revolver an die Schläfe zu halten und einer nach dem anderen abzudrücken.

Das Gejohle der Männer höre ich noch heute. Auch den letzten Satz, den dieser Sadist zu mir sagte ...: "Kein Wort zu den Bullen. An dem Tag, an dem du mich wiedererkennst, bist du tot."

Mandy Kopp hält sich eine Serviette vors Gesicht. Das Schreiben dieser Zeilen sei eine Qual gewesen, sagt sie. Eine, eineinhalb Seiten, und sie habe nur noch weinen, nur noch schreien können. Ohne ihren Lebensgefährten, ohne ihre Kinder, hätte sie es nie geschafft.

Es gibt noch immer so vieles, was sie schwer akzeptieren, kaum erklären kann. Sich und anderen. Warum zum Beispiel sie und die Mädchen, nachdem das "Jasmin" Ende Januar 1993 von der Polizei gestürmt und sie befragt worden waren, zurückkehrten in die leere Wohnung.

Im Morgengrauen schellte ich an der Wohnungstür. Jasmin öffnete. Auch Trixi und Ines waren wieder da. Wir räumten auf und freuten uns über unsere neu gewonnene Freiheit. Wir wollten zusammenbleiben, uns nie wieder trennen. Gemeinsam in der Wohnung leben. Wir dachten nicht darüber nach, ob das funktionieren könnte … Nach Hause? Das konnte sich keine von uns vorstellen.

Mandy Kopp hat viel über Opfer von Missbrauch gelesen, sie hat mit ihrem Therapeuten darüber gesprochen. Sie weiß, welche Bindungen zwischen Opfer und Täter entstehen und was für ein irrationales Verhalten traumatische Gewalterfahrungen auslösen können. In guten Momenten hat sie Antworten auf ihre Fragen, auf die Selbstvorwürfe, die Zweifel. In schlechten kreisen sie endlos in ihrem Kopf.

Waren Sie abhängig von Kugler?

"Ja, und ich frage mich, ob wir nicht alle auf irgendeine Weise Gefühle für ihn hatten. So irrational das klingt."

2009 hat sie versucht, erneut ein Verfahren gegen ihn anzustrengen wegen Vergewaltigung und schwerer Körperverletzung – für all das, was er ihr angetan hat. Der Antrag wurde abgewiesen. Seit dem 28. Januar dieses Jahres sind seine Taten verjährt. Wie auch die der Freier des "Jasmin". Keinen von ihnen kann sie mehr zur Verantwortung ziehen.

Im März 2012 hat der Verleumdungs-Prozess gegen sie und ein anderes Mädchen aus dem "Jasmin", Trixi, begonnen. Auch Trixi hatte unabhängig von Mandy Kopp die beiden Leipziger Juristen als ehemalige Kunden des Bordells identifiziert. Alle anderen Mädchen hatten bei den Befragungen ausgesagt, sich an keine Details mehr erinnern zu können. Die Opfer sind nun Angeklagte vor Gericht. Und wieder werden sie als "Prostituierte" bezeichnet. Im November am vierten Prozesstag saß Kugler dick und glatzköpfig vor ihnen und wurde als Zeuge befragt. Nach sieben Stunden erlitten Mandy Kopp und Trixi einen Nervenzusammenbruch, der Prozess ist vertagt. Wann er weitergeht, steht noch nicht fest.

Sie braucht jetzt eine Zigarette. Sie weiß, dass ihr Buch viel aufwühlen wird, sie sich Feinde damit macht und auch, dass es für den Prozess nicht unbedingt förderlich sein wird – obwohl sie längst nicht alles geschrieben hat wegen des Prozesses. Sie sagt, sie habe Angst, auch um ihre Kinder. Aber sie will dieses Wort loswerden, das an ihr klebt, das man an sie geheftet hat. "Prostituierte".

Sie ist sich sicher, es ist die falsche Frage: die Frage nach ihrer Schuld.

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Re: Sachensumpf Opfer packt aus *Trigger*

Beitragvon sonne » Fr 31. Jan 2014, 12:45

also ich bilde mir ein ,erst am montag im fernsehen gesehen zu haben, das alle viere ,also beide frauen und beide journalisten, freigesprochen wurden. :weissnicht :trinkreden hab ich das geträumt :kopfschüttel geh mal endlich schlafen jetze
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Re: Sachensumpf Opfer packt aus *Trigger*

Beitragvon Anuk » Fr 31. Jan 2014, 14:31

Kann nur sein kurz hier, das was gestern eingestellt wurde ist von der Zeit Anfang 2013. Habe versucht nachzulesen von jüngeren Ereignissen, konnte aber sehr wenig- gar nichts finden! Finde das schon sehr merkwürdig.
Hier noch ein paar Informationen, die ich gefunden habe:
http://www.l-iz.de/Politik/Sachsen/2013/08/Landtagsuntersuchungsausschuss-zum-Sachsensumpf-50657.html
http://www.jungewelt.de/2014/01-14/015.php
Zusammengesuchtes bei Free reader.
http://news.feed-reader.net/132187-sachsensumpf.html

Ich kann aber die Nachricht des Freispruches nicht finden, weißt du noch wo du das gesehen haben könntest? Oder bin ich zu ungeschickt beim lesen?

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