Dauerhafte Spuren der Kindesmisshandlung im Gehirn




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Dauerhafte Spuren der Kindesmisshandlung im Gehirn

Beitragvon dewdrop » Mi 7. Dez 2011, 18:15

Quelle: http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/4 ... Gehirn.htm
Dauerhafte Spuren der Kindesmisshandlung im Gehirn

New Haven – Eine Kindesmisshandlung hinterlässt offenbar tiefe Spuren im Gehirn. Sie waren in einer Studie in den Archives of Pediatrics & Adolescent Medicine (2011; 165: 1069-1077) auch im Teenageralter nachweisbar, selbst wenn diese klinisch unauffällig waren.

Kindesmisshandlung ist keineswegs selten. Erin Edmiston von der Yale Universität in New Haven (inzwischen an der Vanderbilt Universität in Nashville) nennt Schätzungen, wonach allein in den USA jedes Jahr 3,7 Millionen Kinder körperlich oder emotional misshandelt oder vernachlässigt beziehungsweise zu sexuellen Handlungen genötigt werden – und dies sei nur die Zahl der bekannt gewordenen Fälle.

Edmiston hat jetzt 42 psychisch unauffällige Teenager (12 bis 17 Jahre), die sich in einem Childhood Trauma Questionnaire an einen Missbrauch erinnerten, mit einem Kernspintomographen (3 Tesla) untersucht.

Die Forscher stellten in verschiedenen Regionen des Gehirns einen Rückgang der grauen Hirnmasse fest, dessen Ausprägung mit dem Ausmaß des Missbrauchs im Childhood Trauma Questionnaire korrelierte. Die Rückgänge wurden im präfrontalen Cortex, im Striatum, in den Amygdalae, den sensorischen Assoziationsarealen des Cortex und im Kleinhirn gefunden.

zum Thema

Abstract der Studie
Pressemitteilung der Archives
Pressemitteilung der Yale University

Die Befunde lassen sich plausibel mit bekannten Folgen der Misshandlung in Verbindung bringen. So könnten Störungen in den präfrontalen Regionen einen bei vielen Missbrauchsopfern beobachteten Kontrollverlust erklären, die Verhalten, Kognition und Emotionen betreffen.

Edmiston unterscheidet zwischen körperlicher Misshandlung (Kinder werden so hart geschlagen, dass es zu Blutergüssen oder Verletzungen kommt), körperlicher Vernachlässigung (Kindern werden Essen, Schutz, Aufsehen oder gesundheitliche Maßnahmen verweigert), emotionalem Missbrauch (verbale Beleidigungen und Drohungen) und emotionaler Vernachlässigung (Entzug von Liebe und Zuneigung) sowie einen sexuellen Missbrauch (Versuch oder Durchführung sexueller Handlungen).

Diese Formen des Missbrauchs hinterlassen unterschiedliche Spuren im Gehirn. So scheint die körperliche Maßregelung die Inselrinde (Insula) zu schädigen. Diese Region hat Edmiston zufolge „interozeptive“ Funktionen. Sie beeinflusse die Körperwahrnehmung und die Fähigkeiten zur Empathie.

Dies passt zu Berichten, nach denen manche körperlich misshandelten Kinder eine dissoziative Identitätsstörung entwickeln, bei der sie zwischen verschiedenen Persönlichkeiten wechseln, ohne dass ihnen dies bewusst wird. Der Rückgang in den sensorischen Assoziationsarealen könnte laut Edmiston eine Störung der emotionalen Gesichtserkennung erklären, die bei vielen Missbrauchsopfern nachweisbar sei.
Die bewusste emotionale oder körperliche Vernachlässigung ging mit einem Verlust an grauer Substanz im Kleinhirn einher, die auch bei Tierversuchen erzeugt werden könne. Dort kommt es über die Ausschüttung von Stresshormonen zu einem Untergang von Hirnzellen.

Bei einer emotionalen Vernachlässigung kommt es auch zu Defiziten in Hippocampus und Amygdala, die zum limbischen System gehören, sowie in anderen Hirnzentren, die für die Verarbeitung emotionaler Signale benötigt werden.

Interessant sind auch geschlechtsspezifische Unterschiede. So wurden bei Jungen vor allem Reduktionen in den Zentren beobachtet, die mit einer Impulskontrolle und Drogenmissbrauch verbunden sind. Bei Mädchen scheint der Missbrauch eher jene Regionen zu schädigen, die mit der Entwicklung von Depressionen in Verbindung gebracht werden.

Das sind zwar logische, letztlich aber spekulative Interpretationen der kernspintomographischen Befunde. Die Editorialisten Philip Fisher und Jennifer Pfeifer vermuten eher komplexe Störungen des neuronalen Netzwerks, die derzeit erst ansatzweise verstanden würden. Bemerkenswert ist, dass die Veränderungen bei Jugendlichen nachweisbar waren, die keine psychiatrische Auffälligkeiten aufwiesen. © rme/aerzteblatt.de
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